Unter demselben (Leit-)stern: Was die Zürcher Bahnhofstrasse mit dem Luneta-Park in Manila verbindet

sw. Auf der Spurensuche nach den kolonialen Verstrickungen der Schweiz endet meine Tour öfters in Manila: Mit meinem Projekt ZH Kolonial organisiere ich Führungen durch die Stadt Zürich. Eine der Sehenswürdigkeiten ist dabei das pompöse Alfred-Escher-Monument vor dem Zürcher Hauptbahnhof. Wenn ich vor dieser Statue stehe, bekomme ich manchmal feuchte Augen, denn ich muss dann an meine zweite Heimat denken. Um zu verstehen, wie dieses Denkmal mit den Philippinen zusammenhängt, muss man jedoch zuerst den Schweizer Richard Kissling kennen.

Der Schweizer Bildhauer Richard Kissling (1848-1919) aus Wolfwil (SO) fand ein erstes Mal Beachtung, als er 1883 eine Büste von Alfred Escher, eines der bis dahin einflussreichsten Schweizer, ausstellte. Sie verschaffte ihm einen Auftrag für den Bau des Brunnens und Denkmals zu Ehren Eschers direkt vor dem Hauptbahnhof Zürich. 1892 gewann Kissling dann auch den Wettbewerb zur Gestaltung des Denkmals des «Schweizer Nationalhelden»* Wilhelm Tell für die Stadt Altdorf (SZ).

1905 las Kissling ein Inserat über einen von der philippinischen Regierung ausgeschriebenen internationalen Wettbewerb zur Gestaltung des Denkmals des philippinischen Nationalhelden José Rizal. Nachdem er die detaillierten Angaben und Fotos des Themas erhalten und in der Zentralbibliothek in der Stadt Zürich recherchiert hatte, beschloss Kissling, sich am Wettbewerb zu beteiligen. Er begann mit der Arbeit an einem maßstabsgetreuen Modell des Entwurfs, den er später als «Motto Stella» (Leitstern) benennen und einreichen würde.

Die Gewinner wurden 1908 bekannt gegeben, allerdings war der Erstplazierte Carlo Nicoli aus Italien nicht in der Lage, den Vertrag zu unterzeichnen, weshalb das Auftragswerk an Kissling weitergegeben wurde.

Im Jahr 1911 begann Kissling mit der Arbeit am Denkmal. Die Bronzestatue von Rizal mit den Figuren um die zentrale Ikone wurden in seinem Zürcher Atelier entworfen und in Paris gegossen. Anschliessend wurden sie nach Wassen im Kanton Uri transportiert, damit das gesamte Denkmal dort auf dem Granitsockel zusammengesetzt werden konnte. Wassen wurde nicht zufällig gewählt. Es war der Ort, an dem der berühmte Gotthard-Granit gefunden und abgebaut wurde, den Kissling für den Sockel verwendete.

Von den Alpen aus wurde das Denkmal per Eisenbahn ins benachbarte Frankreich transportiert, wo ein Transportschiff es auf die Philippinen brachte. Am Jahrestag der Hinrichtung von Rizal wurde 1913 das «Motto Stella» in Luneta schliesslich enthüllt.


*Wilhelm Tell gilt als eine erfundene Figur.