Enrique de Malacca und des Sprachmittlers beste Waffe

lb. Es ist nicht unüblich, dass Rechtsvertreter (damit sind tatsächlich Männer gemeint) als Teil ihrer Strategie uns Gerichtsdolmetschende zu diskreditieren versuchen. So war es auch nicht überraschend, als der Verteidiger bei meinem letzten Einsatz insinuierte, ich verfüge nicht über die nötige Kompetenz in seiner Muttersprache, um etwas zu taugen. Seine Attacken waren unablässig, doch als er schliesslich drohte, auf DeepL umzusteigen, hatte ich mich emotional schon längst ausgeklinkt und tat es als eine von vielen Beleidigungen ab, die er vermutlich allen an den Kopf wirft, die meine Hautfarbe haben – ungeachtet dessen, wie mein Deutsch wirklich klingt.

Der Anwalt fuhr fort und warf mir vor, einen «eingeschränkten Wortschatz» zu haben. Wenn aber jemand im Raum sprachliche Unterstützung benötigte, war es gewiss nicht ich. Er hatte sich offenbar rechnerisch vertan und realisierte nicht, dass der Grund, weshalb ich überhaupt anwesend war, genau der war, um seine Welt an einen ganzen Schatz von Wörtern heranzuführen, der ihm sonst verschlossen blieb. Doch statt ihre Ehre zu retten, ist die institutionelle Rolle von Gerichtsdolmetschenden, jederzeit ‘neutral’ zu bleiben, Attacken auszuhalten und dabei die Klarheit einer Zenmeisterin zu bewahren – nicht dass uns noch jemand vorwerfen könnte, wir seien dünnhäutig.

Statt diese angeordnete Teilnahmslosigkeit aber als Niederlage zu betrachten, stelle ich sie mir lieber als eine Geheimwaffe vor, besonders wenn ich an einen Mann zurückdenke, den manche als Pionier unserer Gilde betrachten. Enrique de Malacca war Ferdinand Magellans geschätzter Sklave und Dolmetscher, der ihm dabei half, die Rajahs zu besänftigen, die sie als erstes an der Küste des heutigen Eastern Samar antrafen. Magellan hatte zugesichert, dass Enrique im Fall seines Todes freigelassen würde. Doch als er in der historischen Schlacht von Mactan zu Tode kam, verweigerte Magellans Nachfolger Enrique die Freilassung, die ihm versprochen worden war. Laut den historischen Übertragungen war es Enriques Kenntnissen in sowohl den europäischen als auch in den lokalen Sprachen zu verdanken, dass er schliesslich seine Freiheit wiedererlangte: Er tat sich mit den Eingeborenen zusammen und bewirkte mit ihnen, dass die verbleibenden spanischen Soldaten Cebu unmittelbar verliessen.

2022 war das fünfhundertste Jubiläum von Magellans erster Weltumschiffung. Es bleibt umstritten, ob die Herkunft von Enrique de Malacca die heutigen Philippinen sind oder Malaysia. Beide Länder betrachten ihn als einen der Ihren; Neuinterpretationen seiner Gestalt erscheinen die Tage in der Literatur wie auch der Bildenden Kunst. Eine solche Illustration findet man auch im historischen Abriss von RTS

Annette Hugs Kolumne dazu in der WOZ ist hier nachzulesen; auch im von Beatriz Lorente mitherausgegebenen Buch kommt der Dolmetscher vor.

(Bilder von Magellan’s Cross und Basilica del Santo Niño auf Cebu von lb.)

Magellan's Kreuz Cebu