Hautsache Philippinisch: Tätowierungen und wie sie Identität auf den Philippinen (neu) begründen

lb. Erst im März diesen Jahres gingen die Bilder von Apo Whang-Od (geb. ca. 1920*) um die Welt: Dargestellt als die angeblich letzte Meisterin ihres Tattoo-Handwerks (batok) machte sie Schlagzeilen als das älteste Cover-Girl des Modemagazins VOGUE in seiner philippinischen Ausgabe. Neben von Sonnenstrahlen geküssten Reisterrassen dürfte das Gesicht von Apo Whang-Od mittlerweile zu den bekannteren Motiven gehören, die man in der philippinischen Fotografie mit den Cordilleras verbindet. Darüber hinaus verkörpert sie aber auch eine vom Aussterben bedrohte lokale Tattoo-Tradition, welche von jüngeren Frauen ihrer Region als archaisch und zu schmerzhaft gesehen werde, um sie fortzusetzen. Apo Whang-Od wird somit als eine der «Last Tattooed Women of Kalinga» angesehen, die in der Fotoserie von Jake Verzosa (2018, Steidl Verlag) porträtiert und verewigt sind.  

Die Sache ist jedoch nicht ganz unkompliziert. Dass Apo Whang-Od als scheinbar «letzte» Batok-Meisterin dargestellt wird, finden manche fragwürdig; auch, dass sie ihr Handwerk, eine ortsgebundene Tradition, an Nicht-Lokalen anwendet. Für Tourist:innen, die sich stechen lassen wollen, wird beispielsweise auf das vorgängige Opferritual verzichtet. Und anstatt, dass die Tattoos einen Lebensabschnitt markieren oder die Fruchtbarkeit ihrer Trägerin erhöhen, wähle die Kundschaft nun mehr aus einer beschränkten Auswahl an Motiven aus. Was für eine Bedeutung diese Motive haben (wenn überhaupt), wisse ausser der Tätowiererin niemand genau. Auf jeden Fall haben die Tattoos, die noch vor wenigen Jahrzehnten von der philippinischen Mainstream-Bevölkerung mehrheitlich verpönt waren, allem Anschein nach (wieder) an Beliebtheit gewonnen. Wer weiss, vielleicht führt das ja dazu, dass es in Buscalan, Apo Whang-Ods Heimatdorf, bald WiFi gibt?

Diese zwiespältige Bedeutung von Tattoos, die sowohl der Stiftung als auch Verwässerung von Identität dient, ist für die Philippinen jedoch nicht neu. Der Historiker Sebestian Kroupa hat geschichtliche Dokumente zu den frühen spanischen Kolonien (um 1520-1720) untersucht und seine Erkenntnisse letztens an einem von der ETHZ organisierten Kolloquium vorgestellt. Er argumentiert, dass das philippinische Tattoo den Kolonialisten zum einen erlaubten, othering zu betreiben und die native Bevölkerung zu entmenschlichen, zumal Tattoos im herrschenden iberischen Weltverständnis als ‘barbarisch’ angesehen wurden (im wahrsten Sinne des Wortes waren sie den Berbern Nordafrikas zugeschrieben). Gleichzeitig war die auf den Visayas verbreitete Tätowierkunst derart raffiniert, dass ihre Träger:innen in ihren Augen doch als Menschen und deshalb der Christianisierung würdig galten. Die Faszination von europäischen Betrachtenden mit philippinischen Tattoos ging sogar soweit, dass ein Filipino namens Prince Giolo 1690 auf den Philippinen von einem Entdeckungsreisenden entführt und als Ausstellungsobjekt nach England überführt wurde, wo er später tragischerweise erkrankte und verstarb. Das beeindruckende Porträt von Prince Giolo befindet sich im British Museum und ist auch auf der SOAS platform auffindbar. 

Kroupa, Sebestian. “Reading beneath the Skin: Indigenous Tattooing in the Early Spanish Philippines, Ca. 1520–1720.” The American Historical Review (2022): https://doi.org/10.1093/ahr/rhac218

 

*je nach Quelle wird ihr ein anderes Alter zugeschrieben

 

Bild links: «Barong Pintados-Visayas», eine Adaptation der Tattoo-Kunst aus den Visayas auf einem modernen Barong-Tagalog von EN Barong Filipino (2012); Bild rechts: Abbildung von den «Visayans» (auch Pintados, ‘bemalt’ genannt) im Boxer Codex (aus der PowerPoint-Präsentation von S. Kroupa)

picture of Barong tagalog and excerpt from Boxer Codex